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Klingt simpel, ist aber komplex ! Fünf Buchstaben – NATUR – schreibt Tim Otto Roth mit seiner Skulptur in die Landschaft. Doch hinter dem Schriftzug steckt ein ausgefeiltes Konzept: Die Lettern „NATUR“ spielen mit den Vorstellungen von Natur und Kultur und führen deren ambivalentes Verhältnis vor Augen: NATUR als Schriftzug ist selbst Sprache und gehört der Domäne der Kultur an, ja selbst wenn wir von Natur sprechen, ist Natur bereits Kultur. Und: Meinen wir alle dasselbe, wenn wir von Natur sprechen?

NATUR ist Holz pur: Fällarbeiten für die erste Skulptur
NATUR ist Holz pur: Fällarbeiten für die erste Skulptur

Wo Natur draufsteht, ist Natur drin ? Beim Bau der Skulptur wird konsequent darauf geachtet, dass nur Naturprodukte zum Einsatz kommen, d.h. es wird keine Schraube aus Metall verwendet und auch beim Anstrich der Frontfläche wird auf die Verwendung von natürlichen Materialien geachtet. Diese sind derart ausgewählt, dass sie der extremen Exposition von Wind, Wetter und UV-Strahlung gezielt für den programmierten Verfall standhalten. Bei der gegenseitig sich verstärkenden Bauweise liegen die Buchstabenkonstrukte aus Balken mit aktuell 12 cm Seitenlänge lediglich auf einem Schotterbett auf, damit sie keine nassen „Füße“ bekommen. Die Buchstaben, die in der erste Ausgabe aus rund 7.5 Kubikmeter Holz gefertigt sind, bleiben selbst bei hohen Windgeschwindigkeiten alleine durch ihr Eigengewicht stabil. Das ist zum Beispiel beim Buchstabe T ein ganz schöner Balanceakt, wird doch der T-Träger alleine durch sein Eigengewicht in der Schwebe gehalten. Einige Buchstaben werden mit Findlingen aus der Umgebung beschwert, damit der Balanceakt auch gelingt. Auf diese Weise bleibt der Eingriff vor Ort minimal, da auf eine Tiefengründung verzichtet werden kann.

Snow
Wie ein Puzzle: Die formschlüssigen Verbindungen verleihen der Konstruktion entsprechende Stabilität.

Steht die Skulptur frei ? Für die Konstruktion wird auf eine reziproke Bauweise zurückgegriffen, ähnlich wie sie traditionell bei Blockhäusern Verwendung findet, und diese in die heutige Zeit übersetzt. Einen besonderen Clou haben sich die Holztragwerksplaner Prof. Asko Fromm und Johannes Kuhnen einfallen lassen: Die um 45 Grad gedrehten Balken bieten eine verminderte Angriffsfläche für Staunässe und Schnee. Die in die Balken gefrästen formschlüssigen Verbindungen, die am Kompetenzzentrum Bau in Bühl von Stephan Hielscher und Florian Braun weiterentwickelt wurden, greifen wie Puzzleteile ineinander und sind nicht verrückbar.

Snow
Großes im Kleinen: Modell im Maßstabe 1:24 der 14 Meter hohen Skulptur vor der Pflanzenschattenarbeit „flora domestica“.

Wird die Skulptur tatsächlich zerfallen ? Mit der Errichtung wird eine NATUR-Skulptur der Natur übergeben. Daher ist Vergänglichkeit ein wesentlicher Teil der Skulptur. Es kann beobachtet werden, wie sie langsam altert und gleichsam von der Natur zurückerobert wird. Vorgesehen ist, dass der Verfallsprozess bei ausgewählten Buchstaben in Abhängigkeit der Holzart nach 10 Jahren sichtbar einsetzt. Als eine Art skulpturales Vanitas-Stillleben stellt diese sprichwörtliche nature morte durch ihre Vergänglichkeit und Prozesshaftigkeit auf neue Weise die Frage nach Nachhaltigkeit nicht nur in Kunst und Architektur sondern generell in unserem Umgang mit Natur.

Gibt es einen besonderen Deal mit der Natur ? Die Natur selbst ist (noch) kein Rechtssubjekt, mit dem ein Vertrag geschlossen werden kann. Was das Recht nicht vermag, kann jedoch die Kunst: In Anlehnung an die Schrift Der Naturvertrag des französischen Philosophen Michel Serres, der anregt darüber nachzudenken, ob wir der Natur als unserer Lebensgrundlage nicht weitgehender Rechte zugestehen müssen, um die Erde zu schützen, wird es einen Naturvertrag geben. In einem symbolischen Akt wird jede NATUR-Skulptur nach der Errichtung der Natur übergeben.

Wo bekomme ich Antworten auf offene Fragen ? Mit der Erstellung der Skulpturen beginnt ein langfristiges Projekt. Ein buntes Rahmenprogramm von Veranstaltungen für Schüler*innen, öffentliche Vorträge und Lesungen bis hin zu wissenschaftlichen Tagungen soll immer wieder dazu anregen, Fragen zu stellen und im Gespräch Antworten zu suchen. In einer regelmäßig erscheinenden Projektzeitung wird aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Perspektiven die Frage „Was ist Natur“ beleuchtet. Aktuelles wird in einem Blog auf dieser Projektseite zu erfahren sein.